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Insights

19. Restrukturierungs­barometer

Autor

Georgiy Michailov

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3,7 Prozent Wachstum prognostizierten Experten noch im Frühjahr für dieses Jahr – doch schon in ihrem Herbstgutachten sank dieser Wert auf 2,4 Prozent. Zwar ist die Wirtschaft nach Corona auf Erholungskurs, doch Feierlaune will kaum aufkommen. Denn Störungen in den Lieferketten und massive Preissteigerungen machen einem deutlichen Aufschwung einen Strich durch die Rechnung.

Bringt das Ende der Pandemie den Aufschwung? Die meisten Beschränkungen sind mittlerweile aufgehoben und die Unternehmen können wieder ihren Geschäften nachgehen. Die Zeichen könnten also gut stehen für einen deutlichen Aufschwung – wären da nicht die die Probleme in den globalen Lieferketten. Die damit einhergehenden Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten sowie die in der Folge anziehenden Preise drücken die Konjunktureuphorie deutlich. 64 Prozent der im aktuellen Restrukturierungsbarometer Experten gaben an, die von ihnen betreuten Unternehmen seien stark oder sogar sehr stark von Lieferkettenproblemen betroffen. Auswirkungen sind bei allen Unternehmen spürbar – kein einziger der befragten Finanzexperten gab an, die Störungen der Lieferketten wären unproblematisch.

Lieferkettenprobleme: Von besorgniserregend bis existenzgefährdend

Die Ergebnisse unseres aktuellen 19. Restrukturierungsbarometers, dessen Panelbefragung wir gemeinsam mit FINANCE im Herbst 2021 durchgeführt haben, zeigen: Nach den optimistischen Prognosen des Frühjahrs ist die Laune mittlerweile wieder ein wenig getrübt. Trotz voller Auftragsbücher sinkt in allen Branchen die Produktion seit Monaten stetig. Besonders Halbleiter sind derzeit ein knappes Gut, aber auch weniger hochtechnisierte Produkte wie Magnesium könnten zum Engpass werden. Gelingt es den Unternehmen, Lieferschwierigkeiten zu entgehen, müssen sie in der Regel höhere Anschaffungspreise in Kauf nehmen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren die Großhandelshandelspreise im September um 13,2 Prozent höher als im Vorjahresmonat – der stärkste Anstieg seit der ersten Ölkrise im Jahr 1974 und mitnichten ein Ausreißer: Bereits in den Monaten Juli und August war der Preisauftrieb mit 11,3 Prozent und 12,3 Prozent ungewöhnlich hoch. Wie bedrohlich die Lage mittlerweile ist, zeigt sich an den Antworten auf die Frage, ob die zuletzt gestiegenen Materialpreise für die betreuten Unternehmen existenzgefährdend werden könnten: 43 Prozent der Restrukturierungsexperten bejahen das. Und weitere 35 Prozent geben an, zwar keinen solchen Fall im Portfolio zu haben, dass ihnen aber entsprechende Beispiele bekannt seien.

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„Die Auswirkungen der gestörten Lieferketten und Forderungen nach höheren Preisen sind bei allen Unternehmen spürbar.“

 

— Georgiy Michailov, Managing Partner bei Struktur Management Partner

Bessere Aussichten für Restrukturierungspatienten

Auch wenn die Material- und Lieferengpässe der Wirtschaft Sorgen bereiten: Die Restrukturierungsexperten blicken wieder optimistischer in die Zukunft: Knapp die Hälfte (47 Prozent) ist der Meinung, dass die schlimmste Phase der Covid-19-Krise überstanden sei. Ein Grund sind die umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen, die aus Sicht von 48 Prozent der befragten Workout-Finanzierern im Moment noch richtig dimensioniert sind. Erst für frühestens Ende 2022, also nach Auslaufen der Maßnahmen, erwarten 61 Prozent der Befragten einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen.

Der Anteil der Befragten, die im vergangenen Halbjahr mehr Restrukturierungsfälle zur Bearbeitung bekommen haben, sinkt ebenfalls weiter: Bei 16 Prozent der Befragten ist dies der Fall (Vergleich Frühjahr 2020: 65 Prozent). Der aktuelle Wert nähert sich damit langsam dem Allzeittief dieser Umfrage vom Herbst 2014 an – damals lag er bei 10 Prozent.

Eine positive Entwicklung ist auch im Bereich der „Intensivpatienten“ zu beobachten: Waren es im Frühjahr noch 28 Prozent, die wieder in den Markt entlassen werden konnten, liegt dieser Wert im aktuellen Restrukturierungsbarometer bei 31 Prozent. Gleichzeitig sank die Zahl der Insolvenzfälle von 11 Prozent im 1. Quartal 2021 auf aktuell 5 Prozent – ein Allzeittief. Auch die Einschätzung der Finanzierbarkeit von Restrukturierungsfällen lässt hoffen: Der Anteil der Befragten, die das als schwierig oder sehr schwierig einschätzen, ist von 55 Prozent im Frühjahr 2021 auf 28 Prozent gesunken.

Im Fokus der Restrukturierungsabteilung

Jede fünfte Bank prüft Unternehmenskredite auch nach Ende der Coronabeschränkungen kritisch – hier hat die Krise deutliche Spuren hinterlassen. Lediglich 31 Prozent agieren hier bereits wieder wie vor der Pandemie. Zwar gaben nach wie vor 19 Prozent an, bestimmte Branchen generell von Krediten auszuschließen – im Frühjahr letzten Jahres lag dieser Wert noch bei 28 Prozent, doch auch hier ist also eine Entspannung zu verzeichnen. Bei den gewährten Krediten werden von 53 Prozent der Befragten allerdings weiterhin höhere Anforderungen an die Dokumentation gestellt. Dieser Wert stieg im Vergleich zum letzten Restrukturierungsbarometer leicht an. Höhere Margen (23 Prozent) und strengere Financial Covenants (20 Prozent) lagen auf den Plätzen 2 und 3 der Maßnahmen, die von den Unternehmen gefordert werden.

Langzeit-Spitzenreiter unter den Branchen, die besonders im Fokus der Restrukturierungsabteilungen stehen, ist der Fahrzeugbau – die mit der Digitalisierung und der Mobilitätswende gleich doppelte Transformation macht vielen Unternehmen zu schaffen. Mit dem Fahrzeugbau gleichgezogen ist der Bereich Textil und Bekleidung, der seinerseits hart von den Auswirkungen der Corona-Pandemie getroffen wurde. Besser sieht die Lage beim Maschinen- und Anlagenbau aus: Die Werte sind deutlich rückläufig, wenn auch nach wie vor auf hohem Niveau. Knapp dahinter findet sich Handel und E-Commerce – und damit ein Bereich, der mit der Digitalisierung zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Diese Entwicklungen werden derzeit als besorgniserregend bis existenzgefährdend eingeschätzt

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    Steigende Materialpreise

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    Lieferkettenprobleme

    Diese exogenen Gefahren werden derzeit am meisten gefürchtet

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      Auswirkungen der Coronakrise

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      Digitalisierung

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      Wachstumsschwäche der Eurozone

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      Sorge vor protektionistischen Tendenzen

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      Bestand der Eurozone

      Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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