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Die Renaissance der radikalen operativen Restrukturierung? Ein Ausblick auf die Zeit nach Corona

Autor

Georgiy Michailov

Prof. Dr. Henning Werner

Kategorien

Business-Blog

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Wie wird sich die Corona-Krise auf die Wirtschaft, auf die Gesellschaft sowie auf die Restrukturierungspraxis auswirken? Unsere sieben Thesen:

Die Renaissance der radikalen operativen Restrukturierung?
Ein Ausblick auf die Zeit nach Corona

Einleitung

Seit Januar 2020 hat sich das Coronavirus von einer lokalen Krise in China zu einer weltweiten Pandemie entwickelt, die das soziale und wirtschaftliche Geschehen fast vollständig zum Erliegen gebracht hat. Im Ergebnis durchlaufen eine Vielzahl von Unternehmen keine klassischen „Krisenstadien“ mehr, von der Stakeholder- über die Strategiekrise hin zu Absatz- und Erfolgskrise mit dem Höhepunkt der Symptome einer Liquiditätskrise bzw. Insolvenz. Vielmehr geraten Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell binnen kürzester Zeit direkt in das Stadium der Liquiditätskrise, die oft eine direkte Existenzbedrohung bedeutet.

Es herrscht daher Unsicherheit, wie und in welchem Ausmaß sich die Corona-Krise auf die Wirtschaft, auf unsere Gesellschaft sowie auf die Restrukturierungspraxis in naher und fernerer Zukunft auswirken wird.

Wir haben hierzu sieben Thesen entwickelt:

These 1 //

Die aktuelle Krise wird durch die globalen Effekte auf der Angebots- und Nachfrageseite heftiger ausfallen als frühere Rezessionen.

 

Die Auswirkungen der Corona-Krise wirken sich global aus und sind nicht auf einzelne Wirtschaftssektoren oder Regionen beschränkt. Auf der Angebotsseite sind Produktionsstillstände im In- und Ausland sowie Störungen internationaler Wertschöpfungsketten zu beobachten. Produktionsbehinderungen und -ausfälle sowie Lieferverzögerungen sind vor allem durch quarantäne- und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit verursacht und werden durch Anstiege des Krankenstands weiter verstärkt. Die Nachfrage der international eng verflochtenen Exportnation Deutschland ist aufgrund des geringeren Konsums der von Corona betroffenen Handelspartner stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wird die Unsicherheit der Kunden den Konsum auch weiterhin spürbar bremsen. In Folge der Corona-Krise stecken das erste Mal seit der großen Depression sowohl westliche Industrie- als auch Entwicklungsländer zeitgleich in einer starken Rezession.

These 2 //

Unternehmen überdenken nach der Pandemie zum Teil ihre globalen Strukturen und entflechten diese mit dem Fokus auf lokaleres Sourcing.

 

Die Corona-Pandemie hat auf schmerzhafte Weise die Anfälligkeit des globalisierten Wirtschaftssystems offenbart. Viele Unternehmen erleben zurzeit, wie anfällig die über Jahre gewachsenen und optimierten globalen Liefer- und Produktionsketten sind. Zu erwarten ist, dass die fein abgestimmten Wertschöpfungsketten bspw. in der Automobilindustrie und im Maschinenbau überdacht und, soweit möglich, neu justiert werden. Den Unternehmen muss daher der Spagat zwischen Kostenersparnis und Krisen-Resilienz gelingen.

These 3 //

Rettungsmaßnahmen in der Corona-Krise sind primär auf die Überlebenssicherung ausgerichtet und nicht auf die Verbesserung der Unternehmens-Performance.

 

Sowohl der Corona-Schutzschild als auch die Sonderprogramme der KfW bieten Unternehmen die Möglichkeit, Investitionen und Betriebsmittel in der Krise zu finanzieren; vor allem aber werden die Notkredite überwiegend zur Verlustfinanzierung und Überlebenssicherung verwendet werden.

Es werden nur diejenigen Unternehmen trotz höherer Verschuldung gestärkt aus der Krise kommen, denen es gelingt, die Markbereinigung zu überleben und aufgrund eines eventuellen Nischenfokus Marktanteile zu gewinnen, oder aber Produktivitätssteigerungen aktiv umzusetzen.

These 4 //

Schon vor der Krise ertragsschwache Unternehmen werden keine Kreditzusagen bekommen können und aus dem Markt ausscheiden. Und viele Unternehmen werden durch die Krise so geschwächt, dass sie im weiteren Verlauf zu Zombie-Unternehmen mutieren werden.

 

Ungeachtet der hohen Antragszahlen prognostizieren Kritiker den Sonderprogrammen teilweise mangelnde Wirksamkeit. Bei Unternehmen mit zu schwacher Substanz, schlechteren Geschäftsmodellen oder Unternehmen in bereits eingeleiteten Restrukturierungen wird es nach der Krise vermehrt zu einer Abwicklung kommen. Kreditbasierte Notprogramme werden das Problem vielfach nur „aufschieben“, und die zukünftigen Zins- und Tilgungszahlungen werden diese Unternehmen schwer belasten. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass diese Mittel überwiegend zur Verlustfinanzierung und nicht zur Performance-Steigerung eingesetzt werden (siehe hierzu auch These 3).

Somit wird nachhaltiges Restrukturieren und die damit einhergehende Wertsteigerung massiv an Bedeutung gewinnen müssen, um unter anderem der erhöhten Verschuldung zu begegnen. Die Zahl der außergerichtlichen und / oder gerichtlichen Restrukturierungen wird schon bald zunehmen, um die notwendigen, erheblichen Ergebnisverbesserungen herbeizuführen und die Verschuldung zu reduzieren.

These 5 //

Der Transformationsdruck trifft die deutsche Wirtschaft in der Zeit nach Corona schwer, stößt dabei aber auch notwendige Veränderungsprozesse in ganzen Industrien und in einer Vielzahl von Geschäftsmodellen an.

 

Zur Verhinderung einer unmittelbaren Insolvenzwelle aufgrund der Corona-Krise hat die Bundesregierung das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) verabschiedet. Dieses setzt die Insolvenzantragspflicht bis Ende September aus, um Corona-bedingte Insolvenzen zu vermeiden bzw. den Spielraum der Unternehmen zur Bewältigung der Krise zu vergrößern. Voraussetzung ist aber, dass die aktuelle Krise auf den Folgen des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht und Aussichten darauf bestehen, eine Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen – etwa durch zusätzliche Hilfskredite aus den KfW-Programmen.

Bereits vor der Krise finanziell angeschlagene Unternehmen sollten sich durch die leicht verfügbaren Kredite der KfW oder andere Rettungsprogramme der Länder nicht in Sicherheit wiegen. Ohne einen klaren und konsequenten Plan zur Gesundung nach Corona wird die Zahlungsunfähigkeit lediglich aufgeschoben und nicht beseitigt. Die Krise bietet daher eine Chance für strategisch mutig agierende Unternehmen. Wer sicher durch die Krise manövriert, sein Unternehmen nicht überschuldet und sich nach der Krise intelligent positioniert, kann mittel- und langfristig mehr Wert schaffen, als vor der Krise möglich war.

These 6 //

Die bisher häufigen M&A-Lösungen in der außergerichtlichen oder gerichtlichen Sanierung werden erschwert oder sogar unmöglich, weil die Käuferseite selbst unter Druck gerät und Unternehmensbewertungen niedriger ausfallen.

 

Aufgrund der Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung schrecken Käufer vor Akquisitionen im aktuellen Marktumfeld noch zurück. Daher wird M&A als „Sanierungsoption“ vor allem mit strategischen Käufern perspektivisch eine geringere Bedeutung haben.

Auch die Finanzierung möglicher Deals stellt sich zurzeit, aber auch perspektivisch schwierig dar. Leveraged Financing ist für PE-Investoren als Option nahezu vollständig weggebrochen, und auch andere Formen von Buy-out-Finanzierung werden für viele Käufer nicht mehr so einfach zur Verfügung stehen wie in der Vergangenheit.

Die Konditionen für Finanzierungen haben sich entsprechend verschlechtert – wenn auch nicht so drastisch. Für das M&A-Geschäft (abgesehen von Konzern-Spin-offs) ist insgesamt große Verunsicherung bei den Investoren zu erwarten. Denn die Frage, wie sich die Corona-Krise auf die Geschäftsmodelle der potenziellen Targets auswirkt, kann erst im weiteren Zeitverlauf hinreichend gut beantwortet werden. In der Zwischenzeit ist von einer abwartenden und beobachtenden Rolle der Investoren auszugehen.

Es werden aber auch PE-Investoren selbst von der Krise getroffen werden. Die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen wirken sich auf fast alle Geschäftsprozesse und Lieferketten weltweit aus. Portfoliounternehmen, die die wirtschaftliche Vernetzung benötigen, um notwendige Synergien zu heben, leiden aktuell wie alle andere Marktbegleiter auch unter den Folgen der Krise und ausbleibenden Umsätzen.

These 7 //

Die operative Restrukturierung – außergerichtlich oder auch gerichtlich – wird durch unattraktive M&A-Exit-Szenarien eine Renaissance erleben.

 

Da der klassische Verkauf vor allem in strukturell schwierigen Branchen nicht mehr die einfachste Lösung sein wird, wird die steigende Zahl der operativen Sanierungen zunehmend von umfassenden Restrukturierungen der Passivseite begleitet werden. Bei der Neuausrichtung der Passivseite könnte der neue präventive Restrukturierungsrahmen eine erhebliche Erleichterung bedeuten. Ohne gleichzeitige, umfassende operative Restrukturierung und Neuausrichtung der Geschäftsmodelle werden aber kaum nachhaltige Lösungen möglich sein. Erfolgsentscheidend werden u.a. die richtige Einschätzung der Turnaround-Fähigkeit eines Geschäftsmodells und die Auswahl des adäquaten Sanierungsverfahrens sein (außergerichtlicher oder gerichtlicher Prozess bzw. Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens, sofern möglich). Sollten valide Turnaround-Programme nicht mehr finanzierbar sein, wird es zu einem Abwicklungs-Tsunami bei Unternehmen und zu massiven Kreditausfällen bei den Banken kommen. Absehbar würde die operative Restrukturierung daher tatsächliche die günstigste Alternative für alle Stakeholder bleiben!

Fazit

Bedingt durch die Corona-Krise sind viele Unternehmen gezwungen, „Fresh money“ zur Liquiditätssicherung aufzunehmen. Diese Mittel werden primär zur Verlustfinanzierung und Überlebenssicherung verwendet, aber nicht zur Neuausrichtung des Geschäftsmodells oder zur operativen Performance-Steigerung. Damit steigt die Verschuldung in den Unternehmen, ohne dass mit diesen Mitteln Wert geschaffen wird.

Es ist davon auszugehen, dass der aus der zunehmenden Verschuldung resultierende erhöhte Kapitaldienst von vielen Unternehmen nach der Pandemie nicht nachhaltig bedient werden kann, zumal die gesamtwirtschaftliche Lage auch nach einem Abflauen der akuten Corona-Krise angespannt bleiben wird. Dies wird einen erheblichen radikalen Restrukturierungsbedarf auslösen.

Die Autoren

Georgiy Michailov ist Managing Partner der Struktur Management Partner GmbH, einer deutschlandweit führenden Restrukturierungsberatung. Georgiy Michailov verfügt über mehr als 17 Jahre Berufserfahrung im Turnaround- und Wachstums-Management in rund 70 Projekten. Das anspruchsvolle Stakeholder-Management sowie konsequentes Redesign von Geschäftsmodellen zählen zu seinen Kompetenzschwerpunkten.

Prof. Dr. Henning Werner ist Dekan der Fakultät Wirtschaft der SRH Hochschule Heidelberg, Professor für Restrukturierung & Sanierung und leitet das an der Hochschule ansässige IfUS-Institut für Unternehmenssanierung. Das IfUS-Institut bietet Fachinformationen, Weiterbildung und Netzwerkmöglichkeiten für Unternehmenssanierung.

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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Prof. Dr. Henning Werner Professor für Restrukturierung und Sanierung an der SRH Hochschule Heidelberg, Leiter des IfUS-Instituts