Oder: Wie man den eigenen Fokus besser einstellt
„Aufmerksamkeit zählt man zu den kostbarsten Rohstoffen der modernen kapitalistischen Gesellschaft“, erklärt Prof. Dr. Volker Busch Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapiesowie Professor an der Universität Regensburg. In seinem sehr empfehlenswerten Bestseller „Kopf frei!“ zeigt er auf, dass dieser Rohstoff sehr begrenzt und entsprechend auch sehr begehrt ist. Denn ohne unsere Aufmerksamkeit zu erregen, kann man uns nichts verkaufen oder uns für irgendetwas anderes gewinnen. Zeit, sich ihr einmal näher zu widmen.
1. Aufmerksamkeit ist das neue Gold
Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir sind sogar darauf angewiesen, Aufmerksamkeit zu bekommen, um zu überleben. In einer Gesellschaft mit all ihren sozialen Verflechtungen, Hierarchien und Vergleichen bildet die Aufmerksamkeit das soziale Kapital der einzelnen Individuen. Dieses Kapital bestimmt auch unseren Selbstwert (siehe die „Thoughts forLeaders“ dazu). Der Stadtplaner Georg Franck, der schon 1998 über die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ schrieb, erklärte dieses Phänomen vor ein paar Monaten wie folgt:
„Der Selbstwert ist eine innere Größe des Wohlbefindens. Das kann man sich als eine Art Buchhaltung vorstellen. Das Einkommen von Aufmerksamkeit wird auf das Konto des Selbstwerts verbucht. Viel Einkommen, viel Selbstwert. Wenig Einkommen, wenig Selbstwert.“
Aufmerksamkeit kommt in vielen Formen daher. Sie kann im Interesse eines direkten Gegenübers bestehen, in der Zustimmung einer Gruppe oder auch im Applaus uns völlig unbekannter Dritter. Vor allem Likes und Follower in sozialen Medien stellen eine perfekte, da zählbare Messung für die erwähnte Kontoführung dar.
Ist Aufmerksamkeit vielleicht das neue Gold?
Glaubt man David Evans, bis 2022 Ökonom am University College London und Gründer der Global Economics Group, dann lautet die Antwort eindeutig: Ja. Evans schätzt, dass das Geschäft mit der Aufmerksamkeit allein in den USA im Jahr 2019 – und somit noch vor dem durch COVID-19 induziertem Anstieg diverser Online-Aktivitäten – einen Gesamtwert von sieben Billionen Dollar hatte.
Ein Posting von Starfußballer Cristiano Ronaldo mit seinen inzwischen mehr als 500 Millionen Followern soll mehr als 1,6 Millionen Euro kosten. So brachte die kurz vor der Fußball-WM lancierte Kampagne des Luxusherstellers Louis Vuitton mit einem gemeinsamen Foto von Ronaldo und Lionel Messi – Slogan: „Victory is a state of mind“ – den zwei Protagonisten angeblich jeweils mehr als zehn Millionen Euro ein. Alles in allem soll das Foto weltweit mehr als 80 Millionen Likes generiert haben.
Die Bedeutung der Aufmerksamkeit ist jedoch keine Erkenntnis von heute. Diese wurde schon vor Jahrtausenden erkannt. So befand der römische Philosoph und Stoiker Epiktet:
„Wohin du deine Aufmerksamkeit richtest, bestimmt, wer du wirst. Wenn du nicht selbst bestimmst, mit welchen Gedanken und Bildern du deinen Kopf füllst, werden es andere für dich bestimmen.“
Die Steuerung der persönlichen Aufmerksamkeit bestimmt, welchem Sachverhalt wir uns bewusst zuwenden (Orientierung), wie wir die relevanten Informationen herausfiltern(Selektion) und wir sehr uns auf die ausgewählten Dinge fokussieren (Konzentration).
In der heutigen Zeit ist diese Fähigkeit wichtiger denn je. Ob durch Menschen, Mails, Videos, das Fernsehen, Social Media: Tag ein, Tag aus werden wir ohne Unterlass von Informationen überflutet. Was auf den ersten Blick als großer Reichtum erscheinen mag, macht uns in Wahrheit häufig ärmer. So betonte schon der US-Sozialwissenschaftler Herbert Simon, der 1978 für seine bahnbrechende Erforschung der menschlichen Entscheidungsprozesse den Nobelpreis für Ökonomie erhielt:
„What information consumes is rather obvious: it consumes the attention of its recipients.Hence a wealth of information creates a poverty of attention.“
Was sich insbesondere mit dem Internet und dem Aufkommen der Social Media deutlich gewandelt hat, ist die menschliche Aufmerksamkeitsspanne an sich. Diese ist, wie Forschungen zeigen, drastisch zusammengeschrumpft. So berichtet Gloria Mark, Psychologin und Informatik-Professorin an der University of California in Irvine, dass unsere durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne für eine Information von rund 180 Sekunden im Jahr 2000 auf rund 47 Sekunden zurückgegangen ist. Wer bedenkt, dass wir inzwischen rund 2,5 Stunden am Tag in den Sozialen Medien und insgesamt rund sieben Stunden im Internet verbringen, den wird das kaum verwundern.
Es wird spannend sein zu sehen, welche Forschungsergebnisse Gloria Mark in ihrem neuen Buch präsentieren wird, das Anfang 2023 erscheint. Sein Titel: „Attention Span: A Groundbreaking Way to Restore Balance, Happiness and Productivity”.
2. Fokus verhilft zu Erfolg und innerem Glück
Dieses Zerfasern unserer Aufmerksamkeit legt nahe: Die Fähigkeit zur Fokussierung, sprich die Steuerung unserer Aufmerksamkeit gehört zu den wesentlichen – und vielleicht am meisten unterschätzten – Kernkompetenzen unserer Zeit. Davon ist zumindest Professor Busch überzeugt. Ohne Fokus sind weder Empathie oder die Entfaltung unseres Potenzialsnoch Erinnerungen möglich.
Auch für die moderne Führung in Unternehmen und an anderen Schaltstellen der Wirtschaft ist die zielgerichtete Lenkung der Aufmerksamkeit eine der wesentlichen Aufgaben. Soschreibt der US-Psychologe und Bestsellerautor Daniel Goleman in seinem 2013 erschienen Buch „Focus. The Hidden Driver of Excellence“:
„Directing attention toward where it needs to go is a primal task of leadership.”
Zu viele Baustellen, die parallel aufgemacht werden, ohne ausreichenden Fokus, sind in aller Regel ein sicheres Zeichen des Scheiterns oder der Verschleierung. Der eine will vielleicht vor der Realität fliehen, der andere sich und anderen durch viele Aktivitäten einen Eindruck der Sicherheit vermitteln. Manager möchten sich gern selbst beweisen, dass sie alles Menschenmögliche getan haben – und davon auch noch sehr viel! In Wahrheit ist solches Handeln meist von viel Kopflosigkeit und wenig Erfolg gekennzeichnet:
„Viel geschafft ist nicht viel geschaffen!“
Vor allem in schwierigen Zeiten, wenn Ressourcen sehr knapp sind und das Stresslevel sehr hoch ist, ist solch ein Verhalten besonders gefährlich. Mit Organisationen und Ressourcen ist es wie mit der Sonne und dem Brennglas: Je fokussierter Ressourcen eingesetzt werden, desto schneller und wirksamer kommen die Ergebnisse. Es gilt der Satz:
„Je schlechter der Fokus gesetzt wird, desto mehr kratzt man an der Oberfläche.“
Diese Erkenntnis rückt, nebenbei bemerkt, auch das angeblich so erstrebenswerte „Multitasking“ in ein etwas anderes, kritischeres Licht. So weist der Brite Johann Hari, Autor des Bestsellers „Stolen Focus“, darauf hin:
„The average office worker now spends 40 percent of their work time wrongly believing they are ‘multitasking’ – which means they are incurring all these costs for their attention and focus. In fact, uninterrupted time is becoming rare. One study found that most of us working in offices never get a whole hour uninterrupted in a normal day.”
Laut aktuellen Untersuchungen gibt es in der Bevölkerung nur zwei bis drei Prozent, die als sogenannte „Supertasker“ bezeichnet werden können. Und nein, bei Frauen ist der Anteil nicht höher als bei Männern J
Im Jahr 1999 wiesen die US-Psychologen Daniel Simons und Christopher Ghabris im Rahmen eines Versuchs, der inzwischen als „Gorilla-Experiment“ berühmt geworden ist, empirisch nach, dass viele Menschen bei richtiger Fokussierung alles andere um sich herum ausblenden und den berühmten Zustand des „Flow“ erreichen. Bei dem Experiment mussten die Teilnehmer zählen, wie häufig sich eine Gruppe weiß gekleideter Spieler einen Basketball zupasst. Während die Spieler hin und her liefen und sich den Ball zuwarfen, ging ein Gorilla durchs Bild – doch weniger als die Hälfte der Teilnehmer nahm ihn überhaupt wahr, so sehr konzentrierten sie sich auf das Zählen. Das klingt zunächst seltsam, doch solch ein Zustand der Fokussierung auf einen Aspekt ist erstrebenswert, denn ohne Konzentration auf eine Sache, eine Aufgabe können Menschen kaum großartige Leistungen erzielen.
Besonders spannend: Vom richtigen Flow hängen nicht nur unsere Leistungen ab, nein auch unsere Lebensqualität wird dadurch entscheidend geprägt. Jeder, der schon mal in das Lesen eines Buches, das Schnitzen eines Holzstücks oder das Graben im Garten versunken war, wird wissen, was gemeint ist. Wenn wir uns in einer Tätigkeit verlieren, vergessen wir die Zeit – und sind ganz bei uns. Ein erfüllendes Gefühl. So war sich der ungarische PsychologeMihály Csíkszentmihályi, der den Begriff des Flow prägte, sicher:
„Control of consciousness determines the quality of life.“
3. Wie wir unsere Aufmerksamkeit erfolgreich steuern
Wer fokussierter und aufmerksamer durchs Leben schreiten möchte, für den gibt es mehrere Empfehlungen. Dazu gehören
• gute Ernährung,
• gesunder Schlaf (siehe meine jüngsten „Thoughts for Leaders“ dazu)
• Meditation,
• Sport und ähnliche Aktivitäten.
An dieser Stelle möchte ich gerne auf die Punkte eingehen, die für mich den größten Neuigkeitscharakter hatten. Doch bevor ich dazu komme, möchte ich einen besonders interessanten Punkt aufgreifen: Es gibt – darauf hat mich Volker Busch in unserem „LeaderTalk“ aufmerksam gemacht (kommt in Kürze) – einen gewichtigen Unterschied zwischen einer Unterbrechung und einer Pause.
Eine Unterbrechung – ob extern oder intern herbeigeführt – führt dazu, dass man bis zu 20 Minuten benötigt, um sich wieder auf die Aufgabe einzustellen, der man sich zuvor gewidmet hatte. Diese mentalen Rüstzeiten summieren sich und verursachen enorme Kosten! Auch unsere eigenen Gedanken lenken uns permanent ab. Bis zu 47 Prozent unserer Wachzeit schweifen wir von der Realität direkt vor unseren Augen ab!
Pausen sind – im Unterschied zu Unterbrechungen – eigenverantwortlich herbeigeführte Breaks. Sie sollten nach Möglichkeit alle 30 bis 45 Minuten eingelegt werden, um die kognitive Konzentration zu revitalisieren. Dabei ist wichtig zu beachten, dass der Griff zum Handy keine Pause bedeutet, da das Gehirn so nicht zu Ruhe kommen wird. Schon deutlich besser ist: einfach aus dem Fenster zu schauen und wie Prof Busch schreibt „das Gehirn in sich selbst spazieren lassen“. Oder tatsächlich kurz vor die Tür zu gehen und einen kleinen Spaziergang zu unternehmen.
Von Professor Busch habe ich einen Begriff für das konsumfreie,„langweilige“ Nichtstunübernommen, der mir gefällt: „nixen“. Die Formel dafür ist: Chillen minus Handy. Vor allem für die persönliche Kreativität kann „nixen“ sehr förderlich sein. Denn wie jeder weiß: Die besten, innovativen Lösungen fallen einem selten beim Brüten am PC ein, sondern meistens in der Dusche, beim Spazieren oder auch bei der Beobachtung spielender Kinder.
In diesem Kontext ist die von uns bewusst herbeigeführte Steuerung der Aufmerksamkeit etwas besonders Wertvolles, um auf Dauer konzentrierter und kreativer zu bleiben. Oder wie Daniel Goleman schrieb:
„Daydreaming incubates creative discovery.“
Kommen wir zunächst zu Maßnahmen, mit denen sich insbesondere der fortwährende Aufmerksamkeitsraub durch die Sozialen Medien gezielt vermeiden lässt. Sehr hilfreich fand ich dafür den Ansatz der „Meta-Wahrnehmung“ von Prof. Gloria Mark. Sie bittet, sich selbst folgende Frage zu stellen: „Welchen Wert hat das, was ich gerade in der digitalen Welt mache, für mein Leben?“ Diese Frage ist vor allem dann sehr hilfreich, wenn sie zu ehrlicher Reflexion führt. Darüber hinaus sollte jeder Mensch schauen, wie viel Zeit er (oder sie) in der Woche mit Social Media verbringt. Auf jeden Fall lässt sich diese Zeit auf den Mobiltelefonen sehr gut tracken. In aller Regel unterschätzen wir unsere Verweildauer in digitalen Welten massiv!
Am Ende kommt es tatsächlich darauf an, möglichst viele interne und externe Störungen zu eliminieren. Zu den potenziellen Störfaktoren gehört übrigens auch Begleitmusik. Wer auf diese nicht verzichten möchte, sollte die Musik möglichst leise stellen, und sie sollte angenehm, ohne Worte und ohne Überraschungen sein.
Ein toller Vorschlag kommt von Professor Volker Busch. Er nennt sie die „Tiefe Stunde“. Seine Empfehlung: täglich eine feste Stunde im Kalender einzuplanen, in der wir ohne jegliche Ablenkungen (Keine Emails! Keine Anrufe! Keine Social Media!) die anspruchsvollen Themen konzentriert abarbeiten können. Lediglich 25 Prozent unserer täglichen Aufgaben erfordern tatsächlich eine sehr hohe – kreative oder kognitive – konzentrierte Anstrengung. Genau für diese Aufgaben ist die „Tiefe Stunde“ bestimmt, der wir ein Höchstmaß an Fokus und Aufmerksamkeit schenken sollten. Busch empfiehlt dafür den späteren Vormittag, da wir dann aufgrund unseres Biorhythmus‘ tendenziell die höchste Leistungsfähigkeit erreichen. Er selbst hat seine „Tiefe Stunde“ auf die Zeit zwischen 11 und 12 Uhr gelegt; an seiner Tür hat er dann einen Aufhänger, dessen Botschaft unmissverständlich lautet:
„Tiefe Stunde. Hochspannung. Gehirn arbeitet mit 30 Watt. Eintreten wäre unverantwortbar.“
Würden alle Aufgaben in gleicher Weise zum Erfolg beitragen, wären immer jene am erfolgreichsten, die am aktivsten und geschäftigsten sind. Doch sie sind es nicht. Was daran liegt, das Aufgaben unterschiedlich wichtig sind und es sogar Aktivitäten gibt, die den Erfolg eher behindern als ihm zu nützen. Es kommt somit auf die kluge Auswahl, auf die richtigen Prioritäten an.
So gut wie alle außergewöhnlich erfolgreichen Menschen haben klare Prioritäten anstelle einer ellenlangen To-Do-Liste. Sie beschäftigen sich bevorzugt mit den Dingen, die wirklich wichtig sind – und die sie außergewöhnlich gut beherrschen.
Zu erkennen, welches die eine Tätigkeit ist, der man intensiv nachgehen sollte, kann schwer sein. Ein Hilfsmittel ist die sogenannte „Fokusfrage“, die der US-Unternehmer Gary Keller ins Feld führt: Gute Fragen zu stellen, so Keller, sei wichtiger, als gute Antworten zu haben. Ersteres sei weit schwieriger, zudem würden sich gute Antworten meist von selbst ergeben, sobald einmal eine wirklich gute Frage formuliert sei. Und die beste aller Fragen laute:
„Welche ist die eine Sache, die – indem ich sie jetzt tue – alles Zukünftige einfacher oder sogar überflüssig macht?“
Die Antwort sollte möglichst spezifisch sein und zu einem großen Ziel führen. Die ersten Antworten, die uns in den Sinn kommen, müssen daher meist verworfen werden, da es sich in aller Regel um gewöhnliche Antworten handelt, die zu kleinen Zielen führen.
Und denken Sie immer an die Worte des amerikanischen Autors Augustine „Og“ Mandino:
„Es sind diejenigen, die sich jeweils nur auf eine Sache konzentrieren, die in dieser Welt vorankommen“
In diesem Sinne: Achten Sie auf Ihre Aufmerksamkeit – sie ist wirklich wertvoll!