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Insights

Serendipität und das „glückliche“ Leben

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Wie Sie Ihre eigene Glückssträhne erzeugen

Einige haben inzwischen festgestellt, dass ich mich für die Frage interessiere, wie wir unser Leben mithilfe unser eigenen Mindset selbst maßgeblich beeinflussen können. Darüber hinaus interessiere ich mich für spannende Persönlichkeiten – was ein Grund dafür ist, dass ich mehrere Podcasts höre und dahingehend screene, ob ich jemanden entdecke, den ich bisher noch nicht kannte. Und so sprang mir vor einigen Wochen Christian Busch, Direktor des Global Economy Program am Center for Global Affairs der New York University, förmlich ins Auge. 

Busch hat eine „Heldenreise“ hinter sich, er hatte anfangs seine Probleme mit dem Abitur und musste sich an 40 Universitäten bewerben, bevor er dann über ein Studium in Furtwangen und Hagen sowie eine Promotion an der LSE schließlich an die NYU kam. Er hat das – sehr empfehlenswerte Buch – „The Serendipity Mindset – The Art and Science of Creating Good Luck“ geschrieben, auf das ich durch ein Interview aufmerksam wurde (und das neuerdings „Connect the Dots“ heißt).

Ein großer „glücklicher“ Zufall, wie mir im Nachhinein klar wurde. 

Wobei – war das Glück? Was ist Glück, was ist Zufall?

Es sind genau solche Fragen, mit denen Christian Busch sich befasst. Wie weit ist es tatsächlich Zufall, dass ich über seinen spannenden Ansatz gestolpert bin – und weit ist es das Resultat meiner unbewussten, aber doch gezielten Suche und der Erkenntnis des Moments, dass Busch Themen untersucht, die mich schon länger beschäftigen? Ex post, nach Lektüre seines Buches, kann ich sagen: Dies war ein klassischer Fall von Serendipität.

Der Begriff Serendipität geht nach allem, was wir wissen, auf den englischen Schriftsteller Horace Walpole zurück, der ihn 1754 in einem Brief prägte und sich dabei auf ein altes persisches Märchen bezog, das in England unter dem Titel „The Three Princes of Serendip“ erschienen war. Die Helden der Geschichte, die drei Prinzen, „were always making discoveries by accidents and sagacity, of things they were not in quest of“ – so Walpole. Der Brief wurde 1833 veröffentlicht, seither zog „Serendipity“ langsam, aber unaufhaltsam seine Kreise. Endgültig berühmt wurde das Wort (samt der verschlungenen Wege, die es nahm) durch den US-Soziologen Robert K. Merton und sein Buch „The Travels and Adventures of Serendipity“ (das bereits Mitte des 20. Jahrhunderts entstand, aber erst 2004 erschien). 

Chrstian Busch definiert das Phänomen der Serendipität wie folgt:

„Serendipity can best be defined as unexpected good luck resulting from unplanned moments in which proactive decisions lead to positive outcomes.“

Laut mehreren Studien lassen sich rund 30 bis 50% aller Entdeckungen auf Serendipität zurückführen. Zu den bekanntesten zählen Viagra, Penicillin, Post-its, die Röntgenstrahlung oder auch Sekundenkleber. Sogar die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus 1492 geht im Grunde auf Serendipität zurück. Gesucht hatte Kolumbus bekanntlich etwas anderes, die Westroute nach Asien, doch nur deshalb fand er den „neuen“ Kontinent. 

Die essenzielle Frage, die Christian Busch in seinem Buch aufwirft, ist: Können wir Serendipität durch eigene aktive Mitwirkung als Fähigkeit in uns kultivieren? Seine klare Antwort: Ja. Und er liefert Werkzeuge, wie sich diese Fähigkeit trainieren lässt. So habe schon Seneca den richtigen Punkt gesetzt, so Busch, dass Glück dann entstehe, wenn die richtige Vorbereitung auf Gelegenheit trifft. Was bedeutet, dass wir mit dem richtigen Mindset von „blindem“ Zufall zum „smarten“ Zufall übergehen können.

„Once we realize that serendipity is not just about a coincidence that just happens to us but is actually the process of spotting and connecting the dots do we start to see bridges where others see gaps.“

Im Kern nennt Christian Busch drei Werkzeuge, die „glückliche Zufälle“ triggern und uns erlauben, bis dato unbekannte Punkte so zu verbinden, dass daraus eine persönliche „Glückssträhne“ wird. 

Der erste Schritt beginnt bereits mit einem Bewusstsein, das das Unerwartete offen und mit Neugier, ja Erkundungslust empfängt. Hier empfiehlt Busch, den eigenen „Nordstern“ im Leben zu bestimmen – auf dass wir unsere Aufmerksamkeit auch in die richtigen Bahnen lenken. Serendipität braucht ein (erweitertes) Suchfeld, eine Stoßrichtung. Das erinnert mich an meine „Thoughts for Leaders #2“, in denen ich mich vor einigen Monaten mit der Frage der richtigen Filter auseinandersetzte, die wesentlich mit darüber entschieden, was wir sehen, wie wir es sehen und wohin unsere Energie fließt. Welche Hirn-Region dabei eine wichtige Rolle spielt und wie wir das für unseren Erfolg nutzen können, erfahren Sie hier: Thalamus als tor zum bewusstsein

Interessant ist der Ansatz von Christian Busch auch bezogen auf zufällige oder gar bewusst herbeigeführte Begegnungen mit Menschen. So empfiehlt Busch, Serendipität ruhig auch einmal zu „provozieren“, zum Beispiel, indem man den Menschen keine langweiligen Fragen stellt (Wo arbeiten Sie?), sondern raumöffnenden Fragen: Welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt – und warum? Was hat Sie letztes Wochenende zum Lachen gebracht? Was bedeutet Erfolg für Sie? Was bewegt Dich zurzeit besonders?

Der zweite Schritt ist das gezielte Triggern von Serendipität: Erzeugen Sie kreative Reibung, wenn Sie auf andere Menschen treffen, und kombinieren Sie Opportunitäten. Besuchen Sie Orte, wo Sie interessante Menschen treffen! Schreiben Sie Menschen direkt an, die Sie interessant finden. Und wenn Sie neue Menschen kennenlernen, so Buschs Rat, dann erzählen Sie eine Geschichte von sich, in die Sie anschlussfähige „Serendipitäts-Bomben“ einflechten, etwa eine ihrer Leidenschaften, persönliche Routinen, den Besuch der Galerie in der Woche zuvor, die originelle Stellenausschreibung, die Sie neulich gelesen haben.  

„We can seed serendipity triggers in many ways, including by casting hooks and setting serendipity bombs – and we can connect the dots by constantly linking what someone tells us to things we have learned in other domains, even if they seem disconnected at first.“

Im dritten Schritt geht es um das konsequente Dranbleiben – auch bei stumpfsinnigen Tätigkeiten – und ein im Alltag verankertes „Engineering von Opportunitäten“. Beim Dranbleiben spielt wieder der Compound-Effekt eine Rolle, über den ich neulich bereits in einem anderen Zusammenhang geschrieben habe:

Ziele sind für Loser.

Busch überträgt diesen Effekt auf Serendipität, indem er die „Compound Serendipity“ bildet, bei der es darum geht, konsistent immer neue Gelegenheiten zu schaffen und so zu einem Tipping Point zu gelangen. 

Sehr wertvoll ist es laut Busch, systemisch zu denken und systematisch vorzugehen – um es nicht bei einem Wünsch-Dir-Was zu belassen, sondern aus den Opportunitäten auch ein Maximum herauszuholen. So ist es zum Beispiel ungeheuer produktiv, gezielt und regelmäßig ein Zeitfenster im Kalender zu blocken, um ungestört einer kreativen oder konzeptionellen Arbeit nachzugehen – jeder weiß, wie mühsam es ist, sich aufs Neue hineinzudenken, wenn man einmal abgelenkt ist, sei es durch den Kollegen an der Tür oder die Mail, die eine unverzügliche Antwort verlangt. Andere Mittel: einmal in der Woche mit dem Team die besonderen oder überraschenden Ereignisse der letzten Tage zu reflektieren. Einmal in der Woche ein zufälliges Mittagessen innerhalb der Organisation zu organisieren, mit Leuten, die man nicht kennt, zwecks Inspiration oder kreativer Reibung. Als besonders effektiv kann sich auch ein tägliches „Glücksjournal“ erweisen, in dem man jeden Abend alle glücklichen Fügungen des Tages aufzählt (ohne gleich ein Roman zu schreiben) – und sich diese Fügungen am nächsten Morgen kurz vor Augen zu führen.

Einer der bekanntesten weiteren Forscher in diesem Feld, der britische Psychologieprofessor Richard Wiseman, bestätigt die Möglichkeit, eine eigene „Glückssträhne“ zu erschaffen. Er führt vier Faktoren an, die sich in seinen langjährigen Untersuchungen herauskristallisiert hätten. Dabei geht es eher um persönliche Eigenschaften als um konkrete Schritte, doch wer sich ihrer Bedeutung bewusst ist, kann versuchen, sich selbst darin zu „üben“.

„Lucky people generate their own good fortune via four basic principles. 

They are skilled at creating and noticing chance opportunities, 

make lucky decisions by listening to their intuition, 

create self-fulfilling prophecies via positive expectations, 

and adopt a resilient attitude that transforms bad luck into good.”

Zum Schluss noch ein letzter Gedanke, den ich von Naval Ravikant übernommen habe. Naval zählt zu den bekanntesten Unternehmern und Investoren im Silicon Valley (u.a. bei Facebook, Uber, Twitter) und hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Lebensphilosoph entwickelt. Er beschreibt die für mich höchste und auch interessanteste Form der Serendipität: einen Zustand, in dem nicht nur wir Opportunitäten zu erkennen versuchen, sondern die Opportunitäten uns selbst finden – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Voraussetzung für diese Serendipität des vierten Grades ist eine absolute Alleinstellung der eigenen Person, sei es durch große Bekanntheit, große Expertise oder auch große Reputation in einem spezifischen Feld des Lebens. 

„That is the weirdest and hardest kind of luck. Which is where you build a unique character, a unique brand, a unique mindset, where then luck finds you.”

Sein Gedanke: Verfügst Du über einzigartige Expertise oder auch große Reichweite, bekommst du viele Opportunitäten frei Haus – womöglich sogar so viele, dass sie die eigenen Kapazitäten übersteigen. Wahrscheinlich gelingt dies nur den wenigsten, doch wenn es gelingt, ist es nicht länger nur „Glück“, sondern unsere eigene Einzigartigkeit, die unser Schicksal formt.

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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