Oder: Wie Sie manipulative Tricks erfolgreich erkennen
Ob wir einen Geschäftspartner von unserer Geschäftsidee, unseren Chef von einer bestimmten Strategie oder unseren Partner von einem gemeinsamen Urlaub überzeugen wollen – Überzeugungskraft ist eine wichtige Fähigkeit, die wir alle beherrschen sollten.
Der Amerikaner Robert B. Cialdini, der vor wenigen Tagen 78 Jahre alt wurde und heute ein emeritierter Professor für Psychologie und Marketing an der Arizona State University ist, hat sich über Jahrzehnte mit den Faktoren befasst, die zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussen und für unser Verhalten relevant sind, im Positiven wie im Negativen.
In seinem Buch „The Psychology of Persuasion" („Die Psychologie des Überzeugens“), das mich bereits in meinem Studium stark fasziniert hat und millionenfach verkauft wurde, beschrieb er sechs Prinzipien, die einem dabei helfen können, andere Menschen effektiver zu überzeugen oder zu erkennen, wenn wir manipuliert werden – was nicht minder wichtig ist. Inzwischen hat er sie um ein siebtes Prinzip ergänzt.
Wer diese psychologischen Mechanismen verstehen will, muss wissen, dass die Evolution den Menschen auf höchste Effizienz getrimmt hat – unter anderem durch den Einsatz psychologischer Shortcuts, sogenannter „Heuristiken“. Diese erlauben es uns, sich in einer komplexen Welt zurecht zu finden, ohne ständig alles zu durchdenken. Dabei lösen bestimmte Faktoren, auch „trigger features“ genannt, verschiedene Verhaltensmuster aus, ohne dass wir zuvor vollständige Informationen gesammelt haben. So sparen wir Zeit, Energie und mentale Kapazitäten.
Das hat enorme Vorteile, wie vor mehr als 100 Jahren schon Alfred North Whitehead wusste, ein britischer Mathematiker:
„Civilization advances by extending the number of operations we can perform without thinking about them.”
Allerdings können uns diese Muster auch in die Irre führen. Es lohnt sich daher, die sieben psychologischen Prinzipien zu kennen, die unsere Shortcuts gezielt auslösen und zu erwünschtem oder unerwünschtem Verhalten verleiten.
1. Reziprozität
„Irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich Dich bitten, mir eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.“ (Don Corleone)
So antwortet der „Pate“ im gleichnamigen Film von Francis Ford Coppola auf die Frage des Unternehmers Bonasera, der ihn gerade gebeten hat, einen Mord zu begehen – und wissen möchte, was er dafür tun muss. Das Prinzip, das Con Corleone in dieser legendären Szene formuliert, kennt der deutsche Volksmund unter dem Stichwort „Eine Hand wäscht die andere“. Es nennt sich: Reziprozität.
Das Prinzip der Reziprozität ist eine der am weitesten verbreiteten Normen der menschlichen Kultur. Wenn ich jemandem etwas gebe, erzeugt das beim anderen – bewusst oder unbewusst – implizit die Verpflichtung, mir dafür eines Tags etwas zurückzugeben. Auf reziprokem Verhalten basiert auch die aus der Spieltheorie bekannten Strategie des „Tit for Tat“, die als kooperative Form des „Gleiches mit Gleichem vergelten“ zu verstehen ist und die Vorteile einer Zusammenarbeit zur Lösung von Situationen oder Dilemmata betont.
Kulturanthropologen sprechen von „Netzwerken gegenseitiger Dankesschuld“, die Individuen zu hochwirksamen Gruppen verbinden. Auf diese Weise konnte man Nahrung oder Energie verschenken und darauf vertrauen, dass diese nicht verloren ging – war sie doch beim anderen „aufgehoben“. So ließ sich vor Jahrtausenden, als es noch keine Kühlschränke gab, die Beute in den Mägen der Mitmenschen gewissermaßen „aufbewahren“. Irgendwann würden diese einem schon, wenn nötig, mit Essbarem aushelfen.
Dieses Prinzip lässt sich allerdings auch missbrauchen. Es ist zum Beispiel der Grund dafür, dass niemand im klassischen Einkauf Geschenke von Lieferanten annehmen sollte. Schon eine Kleinigkeit kann in einem das Gefühl einer Verpflichtung erzeugen. Es braucht dafür nicht einmal explizite Forderungen der Gegenseite, feste Absprachen oder gar offene Korruption. Das Gefühl reicht völlig aus.
Ein besonders negatives Beispiel für das Ausnutzen dieses Prinzips der Reziprozität zeigte eine Studie aus dem Jahr 2002 auf, die im Bereich der US-Politik spielte. Sie belegte, dass Spenden an Parteien und Politiker häufig dazu dienen, persönliche Verpflichtungen zu schaffen. Die Forscher konnten sogar nachweisen, dass dieses Vorgehen äußerst effektiv ist. US-Kongressabgeordnete stimmten demnach sieben Mal häufiger für die Interessen und Anliegen ihrer Spender als für die anderer Interessengruppen.
Ralph Waldo Emerson, der berühmte US-Philosoph aus dem 19. Jahrhundert, wusste schon, warum er riet:
„Bezahle jede Schuld, als schriebe Gott die Rechnung.“
2. Konsistenz
„Consistency is the true foundation of trust. Either keep your promises or do not make them.” (Roy T. Bennett)
Unser Verlangen nach Konsistenz beeinflusst unser Verhalten auf eine sehr tiefgreifende Weise. Es drängt uns dazu, mit dem übereinstimmen zu wollen, was wir zuvor gesagt oder getan haben, und gibt uns das Gefühl, dass wir in unseren Überzeugungen und Handlungen konsequent bleiben müssen. Dieser Drang nach Konsistenz ist fast zwanghaft und leitet unser Verhalten mit stiller Macht. Denn Konsistenz ist in unserer Kultur eine hoch geschätzte persönliche Eigenschaft, die für ein hohes Maß an Berechenbarkeit steht und dafür sorgt, dass wir in unserem Handeln einen roten Faden vorweisen können.
Sobald wir uns für einen Standpunkt oder eine Entscheidung entschieden haben, fühlen wir uns persönlich und zwischenmenschlich verpflichtet, uns entsprechend dieser Verpflichtung zu verhalten. Wir möchten nicht als inkonsistent oder unzuverlässig wahrgenommen werden, also setzen wir uns selbst unter Druck, unseren Standpunkt beizubehalten und unser Verhalten gemäß unserer Entscheidung auszurichten oder anzupassen.
Auch das Bedürfnis nach Konsistenz kann, wie Experimente zeigen, ausgenutzt werden. So ließ der US-Sozialpsychologe Steven J. Sherman eine Stichprobe von Einwohnern einer amerikanischen Stadt anrufen, mit der Bitte vorherzusagen, was wohl passieren würde, wenn jemand sie fragen würde, ob sie drei Stunden ihrer Zeit opfern würden, um Geld für die Krebshilfe zu sammeln. Ein großer Teil – fast die Hälfte – sagte seine Zustimmung voraus, offenkundig aus Gründen der sozialen Erwünschtheit. Als später dann ein entsprechender Anruf erfolgte und die Frage tatsächlich an sie herangetragen wurde, war die Bereitschaft der so „vorbereiteten“ Personen fast achtmal höher als die der Kontrollgruppe.
Das Prinzip der Konsistenz liegt einer der bekanntesten Vertriebstaktiken zugrunde: der „Fuß-in-der-Tür“-Taktik. Erstmals von den US-Forschern Jonathan Freedman und Scott Fraser im Jahr 1966 beschrieben, wird diese Überzeugungstechnik bis heute sehr erfolgreich eingesetzt. Dabei wird gegenüber jemandem zunächst eine kleine Bitte geäußert, die schwer abzulehnen ist. Kommt der Gesprächspartner dieser Bitte nach, wird ein wenig später das eigentliche, größere Anliegen vorgetragen. Die Erfolgsaussicht, dass er (oder sie) auch diesem Anliegen zustimmt, profitiert dabei davon, dass das Gegenüber der vorherigen, kleineren Bitte bereits zugestimmt hat. Durch den schrittweisen Aufbau ist die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen auch dem größeren Anliegen entsprechen, wesentlich höher, als wenn sie direkt und sofort darum gebeten worden wären.
Das Bedürfnis nach Konsistenz kann sogar dazu führen, dass Menschen eine irrationale, ja schädliche Konsequenz an den Tag legen. Laut der Sunk-Cost-Theorie neigen Menschen dazu, an Entscheidungen oder Projekten festzuhalten, wenn sie bereits erhebliche finanzielle oder zeitliche Investitionen getätigt haben – selbst wenn eine Fortführung wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. In diesem Fall werfen sie „gutes Geld“ dem „schlechten Geld“ hinterher, wie Ökonomen sagen.
Wir erleben das in unserer Beratungspraxis immer wieder: Manche Unternehmer halten an bereits gescheiterten strategischen Projekten ewig fest, weil sie konsistent bleiben wollen.
Es gilt die alte Weisheit:
„Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest – steig ab!“
3. Sympathie
„Was wir an anderen bewundern, ist ihre Ähnlichkeit mit uns.“ (Robert Lembke)
Ein weiteres wichtiges Konzept der Überzeugungspsychologie ist das Sympathie-Prinzip, dem zufolge Menschen Personen, die ihnen sympathisch erscheinen, eher vertrauen und sich von diesen leichter beeinflussen lassen. Als sympathisch erscheinen Menschen tendenziell Personen, die ihnen ähnlich sind, die sie bewundern oder die ihnen helfen. Dabei kann es um äußere Merkmale wie Aussehen oder Verhalten oder um innere Merkmale wie gemeinsame Interessen oder Wertvorstellungen gehen.
Einer der bekanntesten Anwender dieses Prinzips war Cialdini zufolge Joe Girard, ein erfolgreicher Autoverkäufer aus Detroit in den USA. Er erhielt einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als „bester Autoverkäufer" der Welt, als er 1973 insgesamt 1.425 Autos verkaufte. Sein Rezept war denkbar einfach: ein Verkäufer, den man sympathisch findet, und ein fairer Preis – „nimm beides zusammen, und die Sache ist geritzt“, sagte Girard.
Was sind die entscheidenden Faktoren für Sympathie?
Äußere Attraktivität ist wohl einer der bekanntesten. Vor allem der „Halo-Effekt“ hat außerhalb der Sozialwissenschaft eine gewisse Prominenz erlangt. Von diesem Effekt spricht man, wenn der Gesamteindruck einer Person von einem einzelnen Merkmal wie dem Aussehen dominiert wird und dieses Merkmal auf alles andere „ausstrahlt“. So werden attraktiven Menschen häufig fast automatisch positive Eigenschaften wie Begabung, Intelligenz oder auch Ehrlichkeit zugeschrieben.
Ähnlichkeit ist ein anderer wichtiger Faktor, und zwar unabhängig davon, um welche Dimension es sich handelt – seien es Ansichten, Hobbys, Herkunft oder Lebensstil. Schon ähnliche Kleidung reichte in Experimenten aus, um die Zustimmungsraten zu unterschiedlichsten Fragen um bis zu 30 Prozent zu erhöhen.
Vertrautheit mit Dingen oder Personen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung. Cialdini sagt:
„Vertrautheit ruft unbewusst Zuneigung hervor.“
Vertrautheit entsteht auch durch frühere Begegnungen, selbst wenn diese nicht bewusst wahrgenommen wurden. Vielleicht liegt darin auch die Strahlkraft bekannter Marken: Je öfter wir eine Marke, einen Namen oder ein Gesicht sehen, desto sympathischer nehmen wir sie wahr.
Das waren die ersten drei psychologischen Prinzipien der wirksamen Einflussnahme. Die anderen vier folgen in den nächsten „Thoughts for Leaders“.