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Insights

Ziele sind für „Loser“!

Autor

Georgiy Michailov

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Oder: Warum ein System der kleinen Verbesserungen auf lange Sicht gewinnt

Scott Adams, Bestseller-Autor und Erfinder der Dilbert-Comics, brachte seine Verachtung für Ziele als Instrumente der Selbstentwicklung in einem Buch zum Ausdruck, Titel: „How to Fail at Almost Everything and Still Win Big: Kind of the Story of My Life“. Seine Kernbotschaft:

„Goals are for losers.“

Die Begründung ist einfach und sehr einleuchtend. Ziele sind spezifische Messgrößen, die man sich für die Zukunft setzt und dann erreicht oder auch nicht. Ziele verkörpern dabei nicht den Prozess, sondern ein Ereignis. Wer es erreicht, freut sich, wenn auch meist nur kurz, wer es verfehlt, betrauert dies – und das gern auch länger. Auf jeden Fall schiebt ein Ziel die Belohnung für all die Mühen, die man aufbringt, um es zu erreichen, in die Zukunft hinaus. Dies ist einer der Gründe, warum so viele Neujahresvorsätze nur Vorsätze bleiben. Ziele zu erreichen, erfordert sehr viel Disziplin und Willenskraft. Sie wirken groß und fern.

Wer sich nun aktuelle Forschungen auf dem Gebiet der Willenskraft anschaut, erfährt, dass der Wille auch nur ein „Muskel“ ist. Er kann einerseits trainiert werden und dadurch erstarken. Andererseits kann er aber auch ermüden, etwa wenn zu viele Entscheidungen getroffen werden müssen. In dem Fall geht einem die Kraft aus, die nötig wäre, um das Ziel zu erreichen. So beschreibt es der Journalist und Pulizer-Preis-Gewinner Charles Duhigg in einem Buch:

„Willpower isn’t just a skill. It’s a muscle, like the muscles in your arms or legs, and it gets tired as it works harder, so there’s less power left over for other things.”

Statt auf den Willen setzt Duhigg lieber auf die Macht der Gewohnheit, denn Gewohnheiten entlasten Kopf und Körper. Laufen Handlungen automatisch, routiniert ab, ist weder eine Entscheidung noch eine Überwindung nötig. So erklärt sich auch der Titel seines Buchs: „The Power of Habit“.

Ein weiterer Grund, der gegen Ziele als Instrument spricht, ist, dass Ziele per se nicht differenzierend genug sind. Dies machte James Clear, ein weiterer Bestseller-Autor und Experte auf dem Gebiet der Selbstentwicklung, in seinem Buch „Atomic Habits“ deutlich. Er schreibt:

„Winners and losers have the same goals.”

Will heißen: Ziele machen selten den Unterschied. Sehr viele Menschen wollen Filmstars, berühmte Musiker, Nobelpreisträger, Weltmeister oder Olympiasieger werden. Doch nur wenige schaffen es. Und das hat weniger etwas mit fehlendem Willen zu tun, mehr mit einem Mangel an Hartnäckigkeit und Ausdauer. Vor allem im Sport wird deutlich, dass der Unterschied nicht darin besteht, welches Ziel sich jemand setzt, sondern welches System dahintersteht. Für Clear beschränkt sich der Nutzen von Zielen darauf, die Stoßrichtung zu setzen. Verantwortlich für den Fortschritt, für das Erreichen der Ziele sind hingegen Systeme.

In unserer eigenen Geschäftspraxis arbeiten wir ganz ähnlich: Wir fokussieren uns auf die Strategieerarbeitung, um das Ziel zu setzen (den Nordstern), und entwickeln dann das Geschäftsmodell (den Kurs), das die Basis bildet, um das Ziel zu erreichen.

Das Überzeugende an der Idee des systemgestützten Handelns besteht auch darin, dass die Belohnung oder positive Bestätigung in diesem Ansatz bereits in der Anwendung des Systems selbst liegt – und nicht nur im Erreichen des fern in der Zukunft liegenden Ziels. So entsteht intrinsische Motivation, die aus rein physiologischer Sicht auf den Ausstoß von Dopamin zurückzuführen ist. Das erleichtert die Steuerung unserer Energie und entlastet unseren Willen deutlich.

Systeme helfen Clear zufolge auch am effektivsten, das „Tal der Enttäuschungen“, das auf dem Weg zum Ziel fast jeder einmal durchschreitet, hinter sich zu lassen. Diskrepanz zwischen Realität und Erwartungen lässt sich kaum für immer vermeiden – wohl aber überwinden.

Und so fasst Clear die Bedeutung guter Systeme für die Verbesserung wie folgt zusammen:

„You do not rise to the level of your goals. You fall to the level of your systems.”

Wenn aber alles auf das eingesetzte System ankommt, welches System ist dann das richtige?

Auf diese Frage gibt es bestimmt mehrere Antworten. Ich möchte mich auch hier auf James Clear berufen. Sein Vorzeigebeispiel ist Dave Brailsford, der über Jahre der Coach des englischen Radsportteams war (und später Manager des Radrennteams Sky wurde). Brailsford verfolgte den Ansatz der „aggregation of marginal gains“ und führte die englischen Radsportler bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking zu 14 Medaillen (davon acht in Gold) und vier Jahre später in London noch einmal zu zwölf Medaillen (davon wieder acht in Gold!). Sein Prinzip war einfach und bestechend: die systematische Verbesserung aller relevanten Aktivitäten – um nur 1%, dies jedoch konsistent. Sein Erfolg zeigte:

Konsistenz schlägt Intensität.

Clear spricht in seinem Buch von „atomaren“ Gewohnheiten. Diesen Begriff setzt er sehr bewusst ein. Er sieht drei Aspekte, die für ihn in diesem Kontext essenziell sind:

1. atomar – weil sehr klein

2. atomar – weil Teil eines größeren Systems

3. atomar – weil eine Quelle der Energie

Atomare, aber konsistente Verbesserungen im Rahmen des Systems führen über die Zeit zu einem so genannten „compound effect“. Demnach kann eine konstante Verbesserung von nur einem 1% pro Einheit nach nur einem Jahr eine enorme Wirkung haben. Beginnen Sie heute nur mit einem Liegestütz pro Tag als Gewohnheit, kann es sein, dass Sie bei konsistenter Anwendung dieser Regel nach einem Jahr nur 365 Liegestütze gemacht haben – doch die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es insgesamt deutlich mehr sind, vielleicht 10.000 Liegestütze. Dank des Compound Effect.

Ähnlich bei einem Steinmetz: So spaltet er einen großen Stein vielleicht mit dem 51. Schlag – aber ohne die ersten 50 Schläge würde auch dieser nicht ausreichen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Fokus nicht auf einzelnen, starren Zielen liegen sollte, sondern auf den Prinzipien und Regeln eines Systems, die das Handeln tagtäglich beeinflussen und dabei die Chance auf eine Verbesserung steigern.

Wer den Gewinn um eine Million Euro steigern oder zehn Kilogramm abnehmen will, befindet sich im klassischen „Ziel-Modus“. Kurzfristig kann er damit sogar auch erfolgreich sein. Ein hartes Cost-Cutting oder schlicht Personalabbau wird den Profit ziemlich sicher steigern. Und eine harte Diät für die nächsten drei Monate wird gewiss die gewünschte Gewichtsreduktion bringen. Allerdings garantieren solche Maßnahmen keine langfristigen Erfolge. Solange das System in seiner Gänze nicht korrigiert wird, wird es höchstwahrscheinlich zu einem Jo-Jo-Effekt kommen. Wer auch nachhaltig erfolgreich sein will, sollte besser den „System-Modus“ wählen und in kleinen Schritten, aber konsistent am Unternehmen arbeiten (respektive seine Ernährung umstellen und mit Sport anfangen).

Wer einmal ein System hat und dieses noch verbessern möchte, der sollte am besten die Regeln des Systems permanent kritisch reflektieren und zugleich in die Verbesserung der Kernstärken des Systems investieren. Oder wie der US-Autor, Berater und Vortragsredner Darren Hardy sagt:

„It's not the big things that add up in the end; it's the hundreds, thousands, or millions of little things that separate the ordinary from the extraordinary.”

Wie Sie das Gewöhnliche vom Außergewöhnlichen effektiv unterscheiden können, das möchte ich Ihnen in der nächsten Ausgabe der Thoughts for Leaders erklären. 

Bis dahin viel Erfolg und gute Systeme :)

Georgiy Michailov Managing Partner Dipl.-Volkswirt, B.M. (TSUoE)

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